Chichester, 19. September 1999
Wie die Strecke, so die Autos
Stil bewahren- die 50er waren angesagt
TT – nicht nur bei Audi ein Hit
Geerbte Pole
Jubilar Moss im GTO
Italian connection: Emanuele Pirro im 250 GTO
Jochen Mass, ein Vierzylinder und die Grand Prix-Wagen
Eine standesgemäß motorisierte Rennleitung
Wie die Strecke, so die Autos
Es ist unübersehbar: Das Heck des Ferrari 250 GTO drängt nach außen, doch die
gekonnten Lenkbewegungen des Piloten weisen dem betagten Boliden den Weg
durch Madgwick Corner hindurch. Die verflixt schnelle Rechtskurve nach der Start-
und-Ziel-Geraden des Goodwood Motor Circuit hat ihre Tücken und verlangt dem
Fahrer einiges an Können ab. Auf modernen, von Schikanen und harten
Bremspunkten bestimmten Rennstrecken sind Kurven wie diese kaum noch zu
finden.
Als im September 1998 das Goodwood Motor Circuit nach 32jähriger Rennpause
wiedereröffnet wurde, war endlich Abhilfe geschaffen. Nun gab es wieder eine
Rennstrecke, die nicht nur dem Stil der guten alten Zeit entsprach, sondern sogar
aus ihr hinübergerettet worden war. Nach der phantastischen Inszenierung des
Revival Meeting dachten viele, daß dies eine einmalige Sache gewesen sei.
Schließlich erschien es äußerst schwierig, noch einmal "ein Fahrerlager in eine
Filmkulisse zu verwandeln", um Rowan "Mr. Bean" Atkinson zu zitieren. Aber weit
gefehlt: vom 17. bis 19. September 1999 fand das zweite Goodwood Motor Circuit
Race Meeting der Neuzeit statt.
Stil bewahren- die 50er waren angesagt
Erneut erstrahlte das Fahrerlager im Stil des ersten Nachkriegsjahrzehnts und es
durfte schon als modern gelten, wenn ein Krankenwagen oder Abschleppwagen
weniger als 40 Jahre auf dem Buckel hatte. Erneut hatten die Veranstalter einen
Dress Code verhängt, der diesmal statt auf die 60er sogar auf die 50er Jahre
zugeschnitten sein sollte. Leider vereitelte starker Regen zeitweise die
konsequente Einhaltung. Viele Besucher hatten zwar Tweed-Sakko und Krawatte
dabei, mußten beim zeitgenössischen Regenmantel aber passen.
Aber wie stand es um die Autos oder besser gesagt die Ferrari, die in Goodwood
am Start waren. Insgesamt waren es 24, von denen nicht weniger als die Hälfte
am eigentlichen Höhepunkt des Wochenendes teilnahm – der RAC Tourist
Trophy Celebration.
TT – nicht nur bei Audi ein Hit
Bei diesem Rennen ging ein hochkarätiges Feld an den Start, das im
historischen Rennsport seinesgleichen sucht. Sieben 250 GTO sprechen für den
Ferrarista eine deutliche Sprache. Diese historischen Boliden sind auf dem
klassischen und superschnellen Flugplatzkurs natürlich in ihrem Element.
Nahezu alle wurden von prominenten Lenkradakrobaten durch Kurven wie
Madwick oder Woodcote gewuchtet, und im Programmheft fand der Besucher ein
wahres "Who is who" des Rennsports vor: Stirling Moss, John Surtees, David
Piper, Bobby Rahal, Damon Hill und Emanuele Pirro waren in 250 GTO
unterwegs, deren Fahrgestellnummern 3505GT, 3809GT, 5111GT, 3757GT und
3387GT lauteten. Ex-Arrows-Teamchef Jackie Olivier und Ferrari-Veteran Patrick
Tambay begnügten sich derweil mit 250 GT SWB (s/n 2735GT und 2165GT) und
Derek Bell, einer der erfolgreichsten Sportwagenpiloten überhaupt, bewegte den
330 LMB s/n 4381SA. Mit anderen Worten fuhren zwei Formel 1-Weltmeister
Ferrari, außerdem war ein weiterer Champion, der auf Ferrari seinen Titel geholt
hatte, mit einer Cobra unterwegs: Phil Hill.
Geerbte Pole
Bei der einstündigen TT wechselten sich zwei Piloten am Steuer eines Autos ab.
Klar, daß meist die Besitzer selbst ins Steuer griffen, aber in manchen Fällen
waren es Profis der historischen Rennszene. Bei so vielen befähigten Lenkrad-
Akteuren, die mit gleichen Autos unterwegs waren, scheint ein Blick auf die
Rundenzeiten interessant zu sein. Stillschweigend wird vorausgesetzt, daß alle
250 GTO gleich gut vorbereitet waren und jeder das Gaspedal motiviert getreten
hat. Die schnellste Ferrari-Zeit hatte Peter Hardman mit dem 330 LMB s/n 4381SA
auf den Asphalt gebrannt und den 2,400 Meilen langen Kurs in 1:29,209 Minuten
umrundet. Sein Partner Derek Bell, der zweimalige Sportwagen-Weltmeister und
fünffache Le Mans-Sieger, hatte 1:32,241 Minuten gebraucht. Schneller als
Hardman war nur Martin Brundle mit einem Aston-Martin Project 212 gewesen,
allerdings demolierte dessen Co Gary Pearson den Aston im zweiten Zeittraining
so stark, daß an einen Start nicht zu denken war.
Schnellster GTO-Pilot war Willie Green (1:33,112) im GTO 64 s/n 4399GT von Sir
Anthony Bamford, den er sich mit John Surtees teilte. Der Formel 1-Weltmeister
von 1964 hatte mit 1:34,311 Minuten hinter dem historischen Rennprofi das
Nachsehen.
Jubilar Moss im GTO
Der erste von sechs 250 GTO 62 in der Startaufstellung war das Auto von Stirling
Moss und Tony Dron. Die Qualifying-Zeit von 1:33,830 Minuten hatte aber
keineswegs der 16fache GP-Sieger Moss, sondern der 53jährige Journalist Dron
vollbracht. Moss hatte am Tag seines 70. Geburtstags fast fünf Sekunden mehr
benötigt als Dron. Mit dem 250 GTO s/n 3505GT verbindet Moss im übrigen eine
besondere Geschichte. Er hatte ihn Anfang 1962 für seinen Rennstall gekauft und
hätte ihn sicherlich das eine oder andere Mal gefahren, wäre am Ostermontag in
Goodwood nicht jener schwere Unfall dazwischen gekommen, der seine Karriere
beendete. Angeblich hat Moss damals den Ferrari vor seinem Unfall im Training
zur Sussex Trophy gefahren, aber daran kann er sich nicht mehr erinnern. Hier
jedenfalls konnte er ihn auch rennen und belegte am Ende Rang 11. Schnellster
Owner-Driver im Ferrari war Nick Mason, der allerdings im Rennen nicht mehr
zum Zuge kam, denn sein Partner – ein gewisser Damon Hill – hatte den 250
GTO s/n 3757GT in einem der verschwindend kleinen Kiesbetten des Goodwood
Motor Circuit geparkt.
Italian connection: Emanuele Pirro im 250 GTO
Eine Erwähnung wert ist sicherlich auch Emanuele Pirro: Der Italiener, im Juni
Dritter in Le Mans mit einem Audi R8R, durfte zum ersten Mal einen 250 GTO
bewegen – es war s/n 3387GT – und hat sich dabei keineswegs blamiert. Nach
einer respektablen Trainingszeit von 1:34,806 Minuten mit dem GTO bahnte er
sich nach dem Start am Sonntag den Weg durch das Feld und ließ alle anderen
GTO hinter sich. Leider konnte sein Partner Harley Cluxton III nicht daran
anknüpfen, und kurz vor Schluß versagte auch noch das Getriebe des Sebring-
Klassensiegers von 1962. Überhaupt wurde in der historischen Tourist Trophy mit
harten Bandagen gekämpft, denn fünf der sieben 250 GTO trugen sichtbare
Blessuren an ihrem Blechkleid davon.
Schnellster Ferrari im Rennen war, wie schon im Qualifying, der 330 LMB, den
Hardman/Bell an 3. Stelle über die Ziellinie lenkten, 38,273 Sekunden hinter dem
siegreichen Jaguar E-Type von Corner/Hales.
Jochen Mass, ein 4-Zylinder und die Grand Prix-Wagen
Aber auch in anderen Rennen gingen interessante Ferrari erfolgreich an den
Start. Platz 2 in der Freddie March Memorial Trophy ging an Jochen Mass, der den
750 Monza s/n 0440MD aus dem Besitz eines niederländischen Automuseums
bewegt hatte. Und diejenigen, die Augenzeugen jenes spektakulären Drehers
wurden, den sich Nigel Corner ausgangs der Schikane auf der Start-und-Ziel-
Geraden im strömenden Regen leistete, werden es so schnell sicher nicht
vergessen. Im Dino 246 F1 s/n 0788 – vormals s/n 0007 – verlor Corner an
zweiter Stellen liegend im strömenden Regen die Kontrolle, schlug aber nirgends
an und setzte seine Fahrt fort.
Im Rennen der 3-Liter-Grand Prix-Wagen von 1966 bis 1969 waren zwei der
seltenen und einst recht erfolglosen 312 F1 am Start. Einer davon war s/n 0007,
der authentische Wagen, den Derek Bell 1968 bei zwei Rennen gefahren hatte.
Was lag also näher, als den mittlerweile 57jährigen wieder ans Steuer dieses
Autos zu setzen? Er dankte es mit einem 3. Platz. Der andere 312 F1 war s/n 0019
aus dem Besitz von Sammler-Guru Pierre Bardinon, der von englischen
Autohändler Paul Osborn gefahren wurde.
Eine standesgemäß motorisierte Rennleitung
Die stilvolle Inszenierung des Rennwochenendes in Goodwood läßt natürlich
keine modernen Autos im Fahrerlager zu, und so hatten einige Teilnehmer ihren
Straßen-Ferrari mit im Gepäck. Aber alle 212 Inter und California Spyder
verblassten angesichts des Safety Cars der Rennleitung: Es war der 250 GTE s/n
3999GT, ausgeliefert 1962 an die Polizia Stradale! Einer der ersten GTE hatte
1960 als Pace Car in Le Mans gedient. Mehr hätten die Goodwood-
Verantwortlichen rund um den Earl of March dem Zeitgeschmack der "Golden Era"
wirklich nicht entsprechen können.
|